Ich flög so gern nach Mexiko!

Es wäre schön, heute in Mexiko zu sein. Dort nämlich freuen sich die Menschen voll einen ab zu Allerheiligen. Die Kinder bekommen Totenschädel aus Marzipan und Schokolade und die Verblichenen werden geehrt wie Superstars. Am Vorabend wartet man mit einer reich gedeckten Tafel auf, an der sich die Verstorbenen in der Nacht, wenn alles schläft, laben. Und die Lebenden glauben tatsächlich daran, dass die Toten davon gegessen hätten. Allerheiligen ist ein Fest der Freude.

Bei uns ist außer der Freude daran, die neu erstandene Herbstmode auszuführen, nicht besonders viel an Glückseligkeit zu erkennen. Zwischen grässlichen Chrysanthemen und Erika knirscht man weihrauchvernebelt ehrfurchtsvoll langsam über den weißen Kies. Der Tod als das ultimative Aus. Wer ist schon bigott genug, um dem eigenen Ableben (und natürlich auch jenem nahe stehender Menschen) etwas Positives abzugewinnen? Jede Ratio ist stärker als der Glaube an ein Leben danach.

Der Tod ist das Nichts. Und der Gang auf den Friedhof eine Ehrerbietung als Antwort auf das schlechte Gewissen darüber, dass wir beginnen, die ehemals Lebenden zu vergessen. Wer will schon dem Nichts ins Auge sehen, dem Unvorstellbarsten aller Unerfassbarkeiten? Wir projizieren die Vorstellung unseres Lebenserhaltungstriebs auf dessen Gegenteil, auf die Nichtexistenz, das Nichtleben der Toten. Wenn das ganze Leben aus Sein bzw. sein Müssen besteht, dann kann das nicht Sein in seiner Fremdheit nur als Feind empfunden werden. Doch um das eigene Skelett wird man nie trauern müssen, und so negativ der Gedanke an das Nichts auch erscheinen mag, wenn man einmal dort ist, wird man ihn nicht (mehr) denken müssen. Und keiner wird je wissen, wie das Nichts wirklich ist (da es nicht ist).

So wird der Gedanke daran, alle Lebensphasen durchschreiten zu müssen, relativ. Ist denn das Alter ein erstrebenswertes Lebensziel? Genauso gut könnte man sich nur die Rosinen aus dem Lebenskuchen picken und sagen:
Have fun,
die young!

Es wäre doch schön ein Surfer zu sein, der auf die perfekte Welle wartet. Das wäre doch viel besser als die landläufig bekannten Selbstmordseminare. Denn man würde mit dem Gefühl des allerhöchsten Genusses und Glücks dem Tod in die Augen sehen. Man hätte sein ganzes Leben auf diesen einen Moment ausgerichtet, in dem man sich mit seinem Brett der ganzen Gewalt der mächtigsten aller Elemente, dem Sturm und dem Wasser, aussetzt. Auf der brechenden Welle würde man dahingleiten, der salzige Geschmack im Mund. Diesen kurzen und erhebendsten aller Augenblicke genießen, in dem man sich eins fühlt mit der Natur des gesamten Universums. Und man wäre selbst ein Teil davon. Das Leben würde an einem vorüberzischen, in Harmonie mit dem ohrenbetäubenden Rauschen der Gischt. Man würde die letzten Sekunden des Lebens mit einem Gefühl verbringen, das alle bisherigen erhellenden Empfindungen in den Schatten stellte.
Ein kurzer Schmerz beim Zerschellen an den Klippen. Und aus.
Das Nichts hat keine Kehrseiten.

La mort en rose…
barbitos - 1. Nov, 14:27

mir hat der film 'gefährliche brandung' auch sehr gut gefallen, persönlich ziehe ich es vor, mich aus einem flugzeug zu stürzen und ein paar minuten der absoluten ruhe zu geniessen.
im übrigen verbitte ich mir meinen namen in einem satz mit grässlichen chrysanthemen zu nennen. *gg*

zu allerheiligen geh ich nie auf einen friedhof, aber es gibt in wien den zentralfriedhof, dessen ruhe, weitläufigkeit und 'ambiente' ich sehr zur herbstzeit schätze, und wenns nur die oachkatzerln sind, die sich über nüsse freuen.

freilich - 1. Nov, 14:40

da hat sich

mein unterbewusstsein wohl ein späßchen erlaubt und den film (ja, ich hab den auch gesehen, wie mir grad einfällt!) mit dem Lied von Juli vermischt.
Sehen Sie, für den Tod hat jeder seine eigenen Präferenzen, Sie wünschen sich Ruhe, ich Adrenalinkick und Glückseligkeit. Im Übrigen finde ich, sollte dieses Thema nicht so tabuisiert werden.

Tut mir Leid, dass ich die Blumen nicht so gern mag, die so heißen wie Sie. Ich werde den botanischen Namen dafür suchen gehen.
barbitos - 1. Nov, 14:45

heidekraut

und ich mag beide namen nicht, aber wenn man nun mal so getauft wurde, muss man sich wohl damit arrangieren..oder umtaufen lassen ;)

wenn sie mal auf einer kleinen plattform von ca. 40x25 cm stehen, in ca. 4000m höhe und dann von dort weghüpfen, werden sie auch das adrenalin spüren. das ist ein kick!
aber gut, ich hab keine ahnung vom surfen, habs noch nie probiert.
freilich - 1. Nov, 14:53

ich habe ehrlich gesagt

auch weder das eine noch das andere versucht. Sonst würde ich jetzt hier höchstwahrscheinlich auch nicht bloggen.
Den Namen Heidekraut kenne ich schon, er wird aber eher in Deutschland verwendet, glaub ich. Deshalb hab ich Erika gewählt (das mit allemal noch besser gefällt)
freifrau - 1. Nov, 14:41

ich für meinen teil wähle die variante:

spass haben am leben und an der liebe bis ins hohe alter (auch auf die gefahr hin, dass ich manchen menschen auf die nerven damit gehe) [grinstfies]

.... die perfekte welle kann mich mal ;-P

HumanaryStew - 1. Nov, 20:01

ihre worte

"bis ins hohe alter" lässt erahnen, dass sie sich selbst noch nicht in diesen sphären sehen. das überrascht mich etwas... [grinstauchganzfies] ;)
freifrau - 2. Nov, 07:42

ihnen wird ihr grinsen schon noch vergehen

[krückstockdrohenderheb]
HumanaryStew - 1. Nov, 20:11

2 Dinge

zu diesem schönen Beitrag:

1) der Tod kann nicht wirklich schlimm sein, ist doch die Zahl jener, die zurückgekehrt sind ungleich geringer als die Zahl derer, die gar nicht mehr wegwollten *g*

2) wäre ich in Mexiko, würde ich den Namen des verstorbenen Verwandten, den ich am wenigsten mochte auf ein Kärtchen schreiben (zB POR MARIA) und ebendieses zu einem Teller stellen, auf dem sich das Gericht befindet, dass der Verwandte den ich am wenigsten mochte am wenigsten mochte.
Und wenn am nächsten Morgen nicht alles bis zum letzten Bissen der Speise, die der Verwandte, den ich am wenigsten mochte am wenigsten mochte verspeist sein sollte, würde ich mit meinem mexikanischen Temperament lauthals über ihn schimpfen und ihn bis in alle Ewigkeit verfluchen! *harhar*

Ja, so bin ich... ;)

PS: ich hab jetzt erst bemerkt, dass du (zumindest hier) auch noch sehr jung bist... was das bloggen betrifft! *ganzschnellhinzufüg* :)

freilich - 2. Nov, 15:04

thx a lot

für das ganzschnellhinzufüg ;-)
bin ich froh dass wir nicht in mexiko sind und ich eine dir verhasste anverwandte. Bis in den tod müsst ich deine schrecken mitnehmen.
nicht auszudenken, sowas, tsts.
tilak - 1. Nov, 20:12

ich war schon mal dort,

und habe viele tolle Eindrücke mitgenommen. Vor allem die Marienverehrung ist faszinierend. Da gibt es Kirchen, da gibt es nur ein Bild mit Maria und dem Kinde und die Leute stehen Schlange um einmal dran vorbei zu gehen.

freilich - 2. Nov, 10:02

in den romanischen

Ländern ist die Maria überhaupt viel beliebter als der Jesus. Und Mütter im allgemeinen höher angesehen.
In Italien sogar so sehr, dass die meisten dreißigjährigen noch im Hotel Mama leben. Was aber nicht zwingend mit Mutterverehrung zu tun haben muss ;-)
tilak - 2. Nov, 14:35

:)

stell dir vor, du kriegst dann so einen ab und die mamma mischt sich überall rein - *schauder*
freilich - 2. Nov, 15:40

ähm

wo sind die mamas die sich nie einmischen?
Wanderluder - 2. Nov, 08:49

Der Tod in vielerlei Gestalt

In der Nacht zum Sonntag starb meine alte Katze im Kreise ihrer Menschen. Sie war nach einem langen Katzenleben taub und sehr eigenartig, hat gerne ferngesehen und wurde über den Augen kahl. Meist war sie schlecht gelaunt und hat ihre Menschen mit Pinkelaktionen bestraft, wenn sie es nötig fand. Kurz: sie hat mich einen großen Teil meines Lebens begleitet, ich habe sie geliebt, meine kleine graue Katze. Jetzt wird mir das Haus leer erscheinen und ich werde noch eine lange Zeit aus den Augewinkeln das graue Fragezeichen des Katzenschwanzes zu sehen vermeinen, um wieder daran erinnert zu werden, dass sie nicht mehr um die Ecke schleichen wird.
Der Tod als Verlust eines geliebten Wesens schmerzt, da hilft auch kein Fest.

freifrau - 2. Nov, 09:01

ich kenne das gefühl

ist der schmerz jetzt auch noch so groß - in ihren herzen wird sie einen platz mit schönen erinnerungen behalten

alles liebe
freilich - 2. Nov, 09:59

ich glaube

die Mexikaner haben irgendwie die Einstellung, dass nach dem irdischen ein besseres Leben auf uns wartet. Vielleicht ist ihnen der Tod als Erlösung eine tröstliche Vorstellung.
Für uns steht der Schmerz über den Verlust an oberster Stelle. Geliebt Gewohntes ist einfach nicht mehr da.
Stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus.

Vielleicht löst ja eines Tages die Dankbarkeit, sie gehabt haben zu dürfen, das Verlustgefühl ab.
Wanderluder - 2. Nov, 10:28

Danke für die Teilnahme

Die Trauer wird von der Erinnerung abgelöst, sagt die Erfahrung. Im Laufe der Jahre habe ich so viele Tiere sterben sehen, dass dieses Gefühl schon recht vertraut ist, trotzdem schmerzt es eben.
Möglicherweise sorgt ein beschwerliches Leben dafür, den Tod als Erlösung und Grund zur Freude ansehen zu können. Das ist nicht nur in Mexoko so, das ganze mittelalterliche Europa sah es ähnlich(war auch ein prima Mittel der Unterdrückung --> alles gottgewollt und die Belohnung für Mühsam und Leiden wartet im Jenseits).
freilich - 2. Nov, 11:14

ja, das stimmt schon

man muss ja nur daran denken, welcher Gefahr die Menschen durch unheilbare, schmerzafte Krankheiten und Seuchen ständig ausgesetzt waren. Sie waren vermutlich froh erlöst zu werden, so banal das auch klingen mag. Die heutige Medizin erhebt das Leben zu etwas Wertvollerem als es einmal war, stellt es im Unglauben an das ewige Leben über alles.
Morgenlandfahrer - 2. Nov, 14:41

Präteritum, Konjunktiv II, 1. Person Singular von fliegen:

ich flöge
;-)

freilich - 2. Nov, 15:01

danke

ich meinte flög' (mit Apostroph), weil mir das metrisch besser gefiel ;-)

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