Weihnachtsmann, sag mir doch bitte
was versteckt sich hinterm Barte
und dort unten, in der Mitte?
Zieh dich nur rasch um. Ich warte.
Ho ho ho, er eilt geschwinde
und ich reibe schon die Hände,
nicht vor Kälte, ganz gelinde
mal gesagt, in Richtung Lende.
Als mein Liebster sich entschlossen,
dieses Jahr ganz unverdrossen
weihnachtsmännlich zu entzücken,
dacht ich mir, so in mir drinnen,
lass ich mich auch gern beglücken:
Weihnachten mit allen Sinnen.
Send ihm heimlich Liebesschwüre,
denk, wo bleibt er, ich will Sex!
Und dann, endlich, durch die Türe
kommt er. Mist. Das ist mein Ex.
Es ist halb acht im zum Bersten gefüllten Trauungssaal der hiesigen Gemeinde. Preisverleihung und Lesung anlässlich des Minna Kautsky Literaturwettbewerbs 2004. Jede Menge Mut im Gepäck – ich hätte mir niemals gedacht, dass ich Autosuggestion so erfolgreich an mir anwenden kann – setze ich mich in die erste Reihe, flankiert vom 3. Platz Prosa und meiner besten Freundin, der Radiolady, meinem weiblichen literarischen Über-Ich, mit der ich am Vortag zwei Stunden lang per Telefonkonferenz das Lesen geübt hatte, um den vorzutragenden Versen stimmlich stimmigen Ausdruck einzuverleiben. Lyrik ist sauschwer.
Ich traue meiner inneren Ruhe nicht über den Weg. Was, wenn sich mein Geist im letzten Moment doch noch ausdächte, auf nö-hier-spiel-ich-nicht-mit umzuschalten? Nein, soll er nicht, wird er nicht. Die Musik setzt ein. Jetzt geht’s los. Herzrasen. Scheiße, was mach ich hier?
Die Musik ist eins zu eins auf die psychische Verfassung der Leserinnen abgestimmt, harmonisierend. Ebenso die Ausstattung des Saals, mit viel Mut zu rosa, pink und violett, das jedoch dank intelligentem Arrangement überhaupt nicht kitschig oder etwa grell anmutet. Es folgen Reden und Danksagungen, ich rechne mir aus, dass ich um halb neun drankommen werde, schwanke zwischen aufmerksam wohlwollendem Zuhören und der Konzentration auf meinen Mut: Weiche ja nicht von meiner Seite! Die Stadträtin äußert sich zu den beruflichen Benachteiligungen der Frauen, ich denke an „Weiberaufstand“ und muss grinsen.
Dritter Platz Lyrik, die Lesung beginnt. Die Dame, die bei der Probelesung so geholpert hatte und vorhin so extrem aufgeregt war, transportiert ihre Texte souverän in die Köpfe der Zuhörer. Alle Achtung, Respekt mischt sich mit Angst. Applaus, Blumen und Geschenke. Es folgt der dritte Platz Prosa, ich lächle meine sich umständlich erhebende Nachbarin aufmunternd an, wir sitzen doch alle in einem Boot. Ihre beruhigende Stimme tut gut. Wieder Applaus und Geschenke.
Jetzt bin in dran. Von meinem Platz aus ist es nicht weit bis zum rosa Tischchen. Ich schreie mir innerlich zu: Freilich, du alte Rampensau, jetzt zeigen wir denen, wo der Bartl den Most holt! Ein wenig geniert lasse ich die Einleitung samt Huldigungen der Moderatorin über mich ergehen, und dann geht’s los. Das Mikro ist zu weit weg, doch der Feuerwehrmann gleich zur Stelle (hab ich schon mal erwähnt, dass ich Feuerwehrleute besonders mag?). Ich beginne mit „Lebensland“. meine Stimme zittert, so ein Mist, ich kann es nicht abstellen, hoffentlich hört es keiner. Warum zittert eine Stimme, wenn der Rest des Körpers gar nicht so arg aufgeregt ist? Bei „Eine Reise…“ verlange ich mir bereits eine Portion Feelingtransport ab. Kann man aus Gesichtern lesen, erahnen, ob die Botschaft angekommen ist? Schwer zu sagen. Dann kommt „Kernkraft“, das erfreulicherweise ganz leicht von der Hand geht, gefolgt von den letzten beiden, die am schwersten zu lesen sind. Satire fordert am meisten, Mut zur Übertreibung, fast schon Schauspielerei. Ich versuche die Übergänge zwischen Liebesgesäusel und Abgebrühtheit hinzubekommen, in mir kneippt es ordentlich. Und dann als letztes, wie es die Damen vom Frauenreferat gewünscht hatten, den „Weiberaufstand“. Ihre Pointe, das heimliche Siegergedicht? Ich scheiß mich gar nichts mehr, sollen die doch ihren Spaß haben – und blöke Frauenparolen und lasse es mir nicht nehmen und trau mich sogar, die letzten Verse mit Blickkontakt zum Publikum und einem süffisanten Grinser ins Volk zu schmeißen: Fairness ist erreicht/wenn ein Mann erbleicht/weil ein dummes Weib/im Chefsessel sitzt. Sie quittieren es mit johlendem Gelächter, ich bin zufrieden. Geschafft. Applaus.
Geschenke, ein Weihnachtsstern. Die Stadträtin flüstert mir zu: Mögen Sie überhaupt Weihnachtssterne? Ich denke, Scheiße, woher weiß sie das, wieso fragt sie das und lüge: Klar doch.
Den Rest der Lesung kann ich entspannt genießen. Dann, am reichhaltigen Buffet, werde ich plötzlich von fremden Leuten angesprochen und darf mir salbungsvolle Worte anhören. Die Stimmung ist berauschend, voller Wohlwollen, Freude, Gelächter, zum Weitermachen aufmunternder Worte. Einfach schön.
Und den Weihnachtsstern, der jetzt mein Vorzimmer ziert, habe ich Minna getauft.